Gerade ist Gabriele Rudloff im Urlaub. Ob wohl in dieser Zeit die liebevoll angelegten Beete verkümmern werden? Ganz sicher nicht, versichert mir Yvonne Lange. Sie leitet das Betreuungsteam und ist mit mir verabredet, um mir zu erzählen was sich im Garten und bei den Bewohnern seit neuestem tut. Die Einrichtung KATHARINENHOF AM DORFANGER liegt direkt am Stadtrand von Berlin und ist ein Kompetenzzentrum für Menschen mit Demenz. Weil die Krankheit unheilbar ist und die Symptome mit der Zeit immer weiter fortschreiten, finden sie hier Schutz und Halt und erfahrene Spezialistinnen für ihre ganz individuellen Bedürfnisse.
Im Team von Yvonne Lange hat jeder der beschäftigten Frauen und Männer einen anderen Schwerpunkt. Gabriele Rudloff ist eine von ihnen – die neue Gärtnerin – und bringt seither mächtig Schwung ins Grün des Gartens und in die Nasen der Menschen, die hier leben und arbeiten. Wie macht sie das, will ich wissen und frage Yvonne Lange. „Sie buddelt, sät, pflanzt, harkt, gießt und das Wichtigste: Sie liebt was sie tut und schwört auf alles was aus der Natur kommt.“ Bei Gabriele Rudloff kommen nicht irgendwelche Pflanzen ins Beet. Außergewöhnliche Heilkräuter und wirksame Heilpflanzen – jeden ihrer grünen Schützlinge wählt sie mit Bedacht aus und hat Ideen für ihre Verarbeitung.
Getrocknet, zerstoßen oder eingelegt entstehen daraus mit weiteren Zutaten Salze, Öle und Cremes für Einreibungen, Zusätze für Bäder und Düfte für die Räume. Yvonne Lange beschreibt, wie die ätherischen Öle die Sinne der Demenzerkrankten aktivieren, beleben, beruhigen, anregen, stimulieren, lindern und entkrampfen.
Das Team hat einen mobilen Sinneswagen mit allerlei Aromen ausgestattet. „Je nachdem, was ein Mensch gerade braucht, gehen wir ganz unterschiedlich auf ihn ein“, betont Yvonne Lange. Die Assistentinnen fahren mit dem kleinen Wagen von Bett zu Bett und von Zimmer zu Zimmer. Sie ermuntern Bewohnerinnen, an den Säckchen und Gläsern zu schnuppern – die atmen tief ein und nicken. Die Aromen zeigen Wirkung und regen die Wahrnehmung an. Oft erkennen die Seniorinnen den Geruch wieder und erinnern sich. „Manchmal ist jemand sehr unruhig, kann sich aber nicht mehr mitteilen. Schon ein kleiner Tropfen Lavendelöl, auf der Haut einmassiert, wirkt entspannend. Der Atem wird ruhig und gleichmäßig, die Muskulatur lockert sich und die Hände entkrampfen“, beschreibt Yvonne Lange den unmittelbaren Effekt.
Ich staune und Yvonne Lange erklärt mir: „Menschen, die an Demenz erkrankt sind, leben in ihren Erinnerungen und in ihrer eigenen Welt und reagieren umso sensibler auf Gerüche.
Deshalb können Duftstoffe helfen, sich an schöne Momente und gute Zeiten zu erinnern.“ Gabriele Rudloff gestaltet mit dem neu angelegten Garten einen echten Erlebnisraum und regt zum Tasten und Schnuppern an. Und mehr noch: Sie schafft Sinnesräume beim Schaumbaden, mit wohltuenden Raumdüften, in der Sterbebegleitung, bei einer Massage oder mit einem Duftsäckchen neben dem Kopfkissen.
60 Jahre ist unsere Gärtnerin jung und hat ihrem Leben einen völlig neuen Twist gegeben – und sie liebt es. Nach 30 Jahren im Beruf als Kindergärtnerin bewarb sie sich auf eine Stellenanzeige als Gärtnerin und konnte mit ihrem außergewöhnlichen Erfahrungsschatz über Heilpflanzen und Kräuter, einer Heilkräuterausbildung und ihrer großen Liebe zur Natur punkten. Mit bunten Gartenhandschuhen, Jeans und ihren alten Laufschuhen pflegt und hegt sie nicht nur die Beete, sondern auch die Sinneswahrnehmung unserer Bewohner*innen.
Mit einem Bewohner fuhr sie zusammen mit dem Rasenmäher und er rief immer wieder: „Wunderbar! Wunderbar!“ Mehr als dieses Wort konnte er nicht sagen. Dieses eine Wort, das sein Glück beschreibt. Umso mehr konnte er spüren und das ist das größte Geschenk für die Arbeit von Gabriele Rudloff. Am Tag, so schätzt sie selbst, läuft sie locker zehn Kilometer. Und ihre grünen Freunde heißen Brennnessel, Ringelblume und Salbei. Danke Gabriele Rudloff, dass Sie unserer Nase einen Schubs geben und uns mit allen Sinnen ins Spüren bringen.